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Elham Manea

Elham Manea bricht eine Lanze für den Schweizer Rechtsstaat. (Foto: Pia Neuenschwander)

«Falsch verstandene Rücksicht»

Debatte / Scharia-Gerichte für Muslime in der Schweiz? Die Politologin Elham Manea ist dagegen. Dies könne, mahnt sie, verheerende Konsequenzen haben.
«A country worth celebrating! Ein Land zum Feiern», schrieb Elham Manea am 1. August auf ihrer Facebook-Seite. Darunter waren zwei Bilder mit Feuerwerk und Lampion zu sehen. Die Politologin mit jemenitischen Wurzeln lebt seit zwanzig Jahren in Bern, und sie ist stolz auf ihre Schweizer Staatsbürgerschaft. Allem voran schätzt sie das hiesige Rechtssystem. Hier sei jeder Mensch vor dem Gesetz gleich – egal, welcher Herkunft oder welcher Religion, sagt Manea.
Sonderrechte fordern. «Schweizer Recht ist ein Paradebeispiel dafür, wie Menschen- und Frauenrechte respektiert werden», schreibt Manea in ihrem neuen Buch «Women and Shari'a Law». Darin zeigt sie die Konsequenzen für Muslime in England auf, wenn Scharia-Gerichte anstelle regulärer Gerichte über gewisse Lebensbereiche entscheiden; wie etwa die negativen Auswirkungen für Frauen, wenn bei einer Ehescheidung statt britischen Zivilrechts islamisches Recht angewendet wird.
Vier Jahre lang forschte Manea über die in England tätigen Scharia-Gerichte. Auslöser, sich dem Thema zu widmen, war ein Artikel von Christian Giordano. 2008 regte der Professor für Sozialanthropologie an der Universität Freiburgeine Diskussion über Rechtspluralismus in der Schweiz an: Je nach Herkunft, Ethnie oder Religion solle künftig anderes Recht gelten und die Fälle von anderen Gerichten beurteilt werden. Rechts­pluralismus könne Multikulturalismus fördern.
Dieses Argument lässt Manea nicht gelten. Sie hält dem vehement entgegen: «In den Debatten um Multikulturalitätwird das Individuum zugunsten von religiösen oder kulturellen Gruppen instrumentalisiert.» Und das sei gefährlich, denn Minderheiten seien nicht homogen. Statt als gleichberechtigter Staatsbürger wahrgenommen zu werden, wird ein Individuum auf seine religiöse Identität reduziert. Das führe nicht etwa zu Integration in die Gesellschaft, sondern vielmehr zu Parallelgesellschaften undzu Diskriminierung.
Gut gemeint. «Nehmen wir das islamische Recht: Kinder und Frauen werden dort immer wieder benachteiligt», sagt Elham Manea. Und genau das sei zu vermeiden. Vielmehr gelte es, für unser Rechtssystem zu kämpfen und es nicht durch Rechtspluralismus zu schwächen. «Mit Sonderrechten Minderheiten zu schützen, ist zwar gut gemeint», so Manea. «Aber die guten Absichten haben oft verheerende Konsequenzen.» Und das müsse endlich erkannt werden. Zu lange sei der Diskurs insbesondere über den Islam von einer «falsch verstandene Rücksicht» dominiert worden. Diese wurzelt gemäss Manea einerseits im Kulturrelativismus, der Rechtsprechung und Werte wie Gerechtigkeit als veränderlich betrachtet, weil sie kulturell bestimmt seien. Anderseits führt die Autorin die «falsch verstandene Rücksicht» auf das anhaltende schlechte Gewissen der kolonialen Vergangenheit zurück. Sie spricht im Buch von «der Bürde des weissen Mannes». Der glaubt, Minderheiten mit Sonderrechten schützen zu müssen, um vergangene Taten wiedergutzumachen. «Diese Denkweise beeinflusst den akademischen Diskurs, die westliche Politik und oft auch gut gemeinte Vorschläge wie eben jener von Christian Giordano», so Manea. Es sei endlich an der Zeit, sich dieser Haltung bewusst zu werden.
Differenzierte Sprache. Ein stetes Anliegen von Manea ist die Verteidigung der Menschenrechte. «Sie sind universell und nicht verhandelbar.» Damit dem so ist, müssen Menschen aber als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürgerwahrgenommen werden, sagt Manea. Deshalb legt die säkulare Muslimin Wert darauf, nicht auf ihren religiösen Glauben reduziert zu werden. «Steht der Glaube im Zentrum, dann werden Diversität, Komplexität und die vielen Facetten einer Identität ausgeblendet», sagt Manea im Gespräch. Eine differenzierte Sprache sei gerade in der heutigen Zeit von Bedeutung, in der fundamentalistische Strömungen im Namen des Islams Wut und Hass schürten. Aber nur eine Minderheit von Muslimen seien Extremisten – und deshalb einedifferenzierte Sprache wichtig. Sie könne verhindern, dass alle Muslime als Terroristen angesehen würden. Gleichzeitig betont Manea: «Wir haben ein Problem mit einem Extremismus, der seine Wurzeln im Islam hat. Und das darf nicht beschönigt werden.»
Nicola Mohler 
 
 
Die Muslime selbst haben die verquere Ideologie des IS mehrheitsfähig gemacht, sagt die muslimische Zürcher Politologin Elham Manea. Sie fordert ein Umdenken der muslimischen Gemeinschaft.

«Der IS ist ein Teil von uns.» Auf den ersten Blick mag dies eine überraschende Aussage sein. Aber nur auf den ersten Blick.
Vor zwei Jahren war dies der Titel eines Artikels, den Saad bin Tafla al Ajami, der ehemalige Informationsminister von Kuwait, verfasst hat. Er feiert darin nicht etwa den Islamischen Staat und seine Gräueltaten. Vielmehr erinnert er uns Muslime daran, dass der IS das Produkt des etablierten religiösen Diskurses der letzten Jahrzehnte ist – auch wenn sich die Mehrheit der Muslime klar vom IS distanziert.
Der IS, so der ehemalige Minister, «kommt nicht von einem anderen Planeten». Er ist nicht das Produkt des ungläubigen Westens oder eines längst vergangenen Orients. Nein. «Wir können die Wahrheit nicht verleugnen: Der IS hat seine Ideologie in unseren Schulen gelernt, in unseren Moscheen, er hat sein Wissen aus unseren Medien bezogen und ist den Fatwas gefolgt, die wir erlassen haben.» Der Mann hat recht.
Es ist einfach zu sagen, dass der IS nichts mit dem Islam zu tun habe. Doch ich bin überzeugt: Der Islam ist das, was wir Menschen daraus machen. Jede Religion kann die Botschaft der Liebe verbreiten – oder aber blinden Hass, je nachdem, was die Anhänger dieser Religion glauben wollen.
Fakt ist: Den schrecklichen Gräueltaten des IS ist der Weg ideologisch lange bereitet worden. In unseren Moscheen, die in ihren Freitagsgebeten die christlichen Kreuzritter, Juden und Ungläubigen verteufeln. Von religiösen Führern, die uns jeden Tag im TV begegnen und die beständig ihre Botschaft von Hass und Intoleranz gegen die «anderen» verbreiten. In Schulen lernen wir, dass die Abkehr vom Islam mit dem Tod bestraft wird. Dass Christen und Juden dafür bezahlen sollten, wenn sie in Ruhe leben wollen. Niemals wird in diesen Klassen gelehrt, dass jeder Mensch das Recht hat, seine Religion frei zu wählen. Niemals wird gelehrt, dass jeder Mensch die gleichen Rechte hat, ganz egal, an welchen Gott er glaubt.
Der IS ist auch das Produkt eines politischen Prozesses. Der Aufstieg des politischen Islams begann im Jahr 1973, befeuert durch das Öl der Golfmonarchien und die iranische Revolution 1979. Er ist das Produkt einer politischen Strategie. Staatsführer nutzen den politischen Islam für ihre Zwecke. Sie arbeiten mit Islamistengruppen zusammen, erzwingen so politische Allianzen. Ihr Ziel ist politisch: Sie wollen ihre Herrschaft religiös legitimieren – und die ihrer Gegner entscheidend schwächen. Doch diese macchiavellistische Allianz hat ihren Preis. Als Belohnung für ihre Unterstützung dürfen Islamistengruppen den religiösen Diskurs mit ihrer Ideologie des Hasses, der Ausgrenzung und der Intoleranz dominieren.
Der IS ist deshalb auch das Produkt politischen Versagens. Viele muslimische Staaten sind unfähig, die elementarsten Bedürfnisse ihrer Bürger in den Bereichen Gesundheit, Bildung und soziale Sicherheit zu befriedigen. Islamistengruppen füllen diese Lücke – und verpacken ihre Dienstleistungen in ihre Ideologie des Hasses.
Es hilft nicht, den Kopf in den Sand zu stecken. Es gibt kein Entkommen: Der IS ist ein Teil von uns. Wir haben ihn zu dem gemacht, was er ist. Wir haben seine verquere Ideologie in unseren Schulen, Moscheen und TV-Stationen mehrheitsfähig gemacht. Und trotzdem scheinen wir überrascht, dass der IS das, was gepredigt wurde, wörtlich genommen hat.
Das kann nicht unser Ernst sein!
Wir Muslime müssen unsere Verantwortung anerkennen. Tun wir es nicht, wird sich nichts ändern. Moscheen werden weiterhin jeden Freitag Juden, Christen und Ungläubige verteufeln. Prediger werden den Islam weiterhin grossreden mit ihrer Botschaft der Intoleranz. Schulen werden weiterhin lehren, dass nur die Religion Identität stiften kann.
Hier sollten wir einen Moment innehalten. Wir sollten uns fragen: Wie viele Frauen wurden in letzter Zeit im Namen unserer Religion unterdrückt? Wie viele pakistanische Christen oder Ahmadis wurden angegriffen? Wie viele Kirchen wurden in Indonesien und Nigeria attackiert? Wie viele ägyptische Kopten wurden aus ihren Dörfern vertrieben? Wie viele Sunniten haben Schiiten getötet? Wie viele Schiiten haben Sunniten getötet? Wie viele Bahai wurden im Iran brutal unterdrückt? Und: Wie viele britische Bürger haben sich dem IS angeschlossen?
Natürlich: Es ist einfach, auf die anderen zu zeigen. Aber wenn wir weiterhin die anderen verantwortlich machen, wenn wir weiterhin nichts tun und schweigen, dann sind wir es, und niemand anderer, die zulassen, dass diese Fundamentalisten unsere Religion in Geiselhaft nehmen.
Der IS ist ein Teil von uns. Es ist höchste Zeit, dieser Tatsache ins Gesicht zu schauen.
*Elham Manea (50) ist schweizerisch-jemenitische Doppelbürgerin. Sie lehrt Politikwissenschaft an der Universität Zürich. https://www.blick.ch/news/politik/islamexpertin-wirft-muslimischen-staaten-politisches-versagen-vor-der-is-ist-ein-teil-von-uns-id5376519.html?fbclid=IwAR3qph19HAehwGHmOK-pUUEkgC-pjReWfd1ZuczPcIbaDcRQQ8Vmyu9ScoI

Leben: Manea, Tochter eines Diplomaten, verbrachte ihre Kindheit und Jugendzeit in arabischen und westlichen Ländern. Sie arbeitet heute als Privatdozentin an der Universität Zürich. Sie engagiert sich für einen humanistischen Islam; Menschenrechte sind für sie das höchste Gut und dürfen nicht angetastet werden. Neben ihren wissenschaftlichen Arbeiten veröffentlichte sie auch die Novellen Echo (2005) und Sins (2008) in arabischer Sprache.
Sie studierte Politikwissenschaften in Kuwait und den USA. Von 1990 bis 1993 hatte Elham Manea eine Stelle als Assistentin an der politikwissenschaftlichen Abteilung der Universität Sana’a, Jemen. Während dieser Zeit hat sie ein Buch über jemenitische politische Parteien geschrieben und veröffentlicht. Diese Studie wird an der Universität Sana’a als Lernmittel benutzt. 1995 erlangte sie an der American University, Washington, D.C., einen Master in Vergleichender Politikwissenschaft. Mit der Dissertation Regional Politics in the Developing World: The Case of the Arabian Peninsula (Yemen, Saudi Arabia, Oman), wurde sie 2001 an der Universität Zürich promoviert. Die Arbeit ist 2005 im Saqi Books Verlag, London, erschienen.
Zwischen 1997 und 2005 hat sie bei Radio Swiss International und Swissinfo als Moderatorin, Multimedia-Journalistin, und später stv. Leiterin des Arabischen Services gearbeitet. Zwischen 2006 und 2009 hat sie als Habilitierte am universitären Forschungsschwerpunkt Asien und Europa gearbeitet. Seit 2005 arbeitet sie als Beraterin für staatliche und internationale Organisationen in den Bereichen Frauenrechte, Politik und Entwicklung (Freedom House, Weltbank, USAID, DEZA, Eidgenössische Kommission für Frauenfragen, etc.).
Elham Manea ist jemenitisch-schweizerische Doppelbürgerin und wohnt in Bern. Sie ist Mitglied im Vorstand des Forums für einen fortschrittlichen Islam in der Schweiz. [1] Sie ist außerdem Mitbegründerin der Ibn-Rushd-Goethe Moschee in Berlin, die für einen säkularen liberalen Islam steht, der weltliche und religiöse Macht voneinander trennt und sich um eine zeitgemäße und geschlechtergerechte Auslegung des Koran und der Hadithen bemüht.[2]

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