Peter Thiel der monistische Nefeudalist und wie zerstört man die Republik

 

Dan Taylor, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

 Sie hassen Gewaltenteilung und Demokratie wollen absolut wie Diktatoren autoritär Herrschen und sind auch zu Mord, Totschlag und Putsch bereit siehe KapitolSturm

Dossier: Peter Thiel – der Vermittler 

Peter Thiel gilt als gefährlicher Vordenker jener reaktionären Bewegung, die hinter der Trump’schen Präsidentschaft steht. Daniel-Pascal Zorn hat Thiels intellektuelle Biographie verfolgt und zeigt: Thiels eigentliche Leistung liegt in der Übersetzungsarbeit zwischen liberalen und anti-liberalen Bewegungen. Er fungiert als Drehtür einer neuen Querfront von Libertären, Populisten, Konservative und Investoren.

Der Name Peter Thiel provoziert drei typische Reaktionen. Die erste: »Wer?«.  Anders als Elon Musk oder Mark Zuckerberg ist Peter Thiel keine öffentliche Person. Er bleibt die meiste Zeit im Hintergrund. Aber ebenso wie Musk und Zuckerberg ist er ein US-amerikanischer Milliardär, der sein Vermögen im digitalen Sektor gemacht hat: Thiel hat zusammen mit Musk PayPal gegründet, in Unternehmen wie Facebook, LinkedIn, Airbnb und Yelp investiert, verschiedene Hedgefonds aufgebaut und 2003 die Data-Mining-Firma Palantir Technologies gegründet. Die Namen seiner Unternehmen – Palantir, Anduril, Arda, Mithril usw. – zitieren Gegenstände und Figuren aus Tolkiens Herr der Ringe. In seinem Büro in Los Angeles steht eine Thiel gewidmete Skulptur, die an einen Dungeons & Dragons-Spieltisch erinnert: In der Mitte steht er selbst, Peter Thiel: als Held, der gegen Monster wie »Geldpolitik«, »faire Wahlen« – und »Demokratie« antritt. 1

Ob ironisch oder nicht – diese Neigung Thiels zur (euphemistisch ausgedrückt) Infragestellung des Status quo löst die beiden anderen typischen Reaktionen auf seine Namen aus. Seine vornehmlich männlichen Fans  sehen in Thiel den Vorkämpfer einer so hypermodernen wie reaktionären Kultur; den Vordenker einer postdemokratischen und postliberalen Welt, in der sich genialische Männer  gegen störende Beschränkungen, z. B. durch demokratische Prozesse, durchsetzen. Thiel gilt, auch wegen seines zurückhaltenden Auftretens, als unternehmerisch erfolgreicher Nerd,   der über den Tellerrand der Moderne und ihrer Pathologien hinausdenkt . Das Merkmal des Vordenkers und Intellektuellen verdankt Thiel einer Reihe von Publikationen und Interviews, in denen er als politischer Theoretiker auftritt, als Dozent für politische Theorie in Stanford, als Experte für Politische Theologie und als Geschichtsphilosoph, der sich mit dem byzantinischen Reich ebenso auskennt wie mit der Aufklärung. Auf YouTube legt er die Klassiker der reaktionären Moderne aus: Carl Schmitt, Oswald Spengler, Friedrich Nietzsche. Er bietet seinem Publikum eine vorgeblich tiefenhistorische Erklärung dafür, was schiefgegangen ist. Natürlich wirft er damit auch die Frage auf, wie es korrigiert werden kann.

Daniel-Pascal Zorn

Daniel-Pascal Zorn ist promovierter Philosoph, Historiker und Literaturwissenschaftler. Er ist Autor beim Klett-Cotta-Verlag. Dort erschienen sind »Logik für Demokraten«, »mit Rechten reden« und »Das Geheimnis der Gewalt«. Im März 2022 ist sein Buch »Die Krise des Absoluten« erschienen.

Die Kombination aus Dotcom-Milliardär, der CEO eines von der CIA unterstützten Big-Data-Unternehmens ist, der die Nerd- und Incel-Kultur ebenso zitiert wie er eine reaktionäre Elite mithilfe ihrer intellektuellen Vordenker bespielt, der mit Vertretern der christlichen Rechten über die Apokalypse und ihre Bedeutung für uns diskutiert – diese Mischung provoziert schließlich seine Gegner zu raunenden Warnungen. Thiel sei die Spinne im Netz, die graue Eminenz im Hintergrund, die den Angriff auf die US-amerikanische Verfassung steuere. Palantir Technologies »weiß alles über dich«, warnt Bloomberg 2018. Max Chafkin, der Autor der aktuellen Thiel-Biographie von 2021, hält Thiel für die »wichtigste Person im Silicon Valley«: Er ist, sagt Chafkin, »die Art Hintergrundspieler, der hinter … vielen wirklich wichtigen Dingen steht, die in den letzten zwei Jahrzehnten passiert sind.« Chafkin meint damit Facebook & Co., aber auch hinter dieser Unterstützung gibt es noch eine zweite Ebene, Thiels politisch-ökonomische Philosophie: »Es grenzt an Faschismus.« Die Stanford-Klasse, die für Thiels Fans Ausdruck seiner intellektuellen Überlegenheit ist, »hat er in ein Buch mit dem Titel Zero to One verwandelt. Er spricht davon wie Unternehmen besser geführt werden als Regierungen, weil sie einen einzigen Entscheider haben. Er steht der Idee der Demokratie feindlich gegenüber.« 2  

Dekadenz und neoreaktionäre Bewegung

Tatsächlich ist Thiel in den  vergangenen Jahren politisch ziemlich umtriebig gewesen. Für eine Reportage bei Vanity Fair mischt sich James Pogue 2021 unter die Teilnehmer der NatCon, der National Conservatism Conference. Es ist das zweite Jahr der Biden-Administration. Die politische Opposition mobilisiert – und J. D. Vance, der ehemalige Geschäftsführer von Thiels Mithril Capital und Gründer von Narya-Capital – eine weitere Tolkien-Referenz –, schwadroniert in neurechten Podcasts vom Ende der amerikanischen Republik. Thiel hält auf der Konferenz die Eröffnungsrede. Das Publikum besteht nicht mehr nur aus alten Konservativen und neurechten Politinfluencern wie in der ersten Amtszeit von Trump, sondern aus verschiedenen Spielarten der US-amerikanischen Rechten, aus einigen Liberalen und Linken. Thiel, der Investor, hat ideologisch diversifiziert: Er ist so etwas »wie ein verruchter Pate oder reicher Onkel« der nicht nur Millionen in Super-PACs investiert, sondern auch Projekte junger, hipper neuer Rechter, Conventions und Podcasts mindestens ideell unterstützt.  

Die beiden Red Scare-Podcasterinnen Dasha Nekrasova und Anna Khachiyan  kombinieren die Ästhetik des Girl-Restroom-Chat mit Jet-Set-Referenzen, wie sie typisch für Models und Schauspielerinnen sind. 3 Gleichzeitig diskutieren sie Konzepte wie »Oligarchie« und rezensieren Texte politischer Philosophen wie James Burnhams The Machiavellians. Der ironische Bruch, das Auskontern des Vorurteils vom modeaffinen Dummerchen mit handfester politischer Theorie und das freie Changieren zwischen Mainstream und kulturrevolutionärer Rhetorik gehört zum Konzept. Nekrasova und Khachiyan gehören zu einer breiten reaktionären Strömung, die mit den ewigen Verweisen auf »Alt-Right«, auf Steve Bannon oder Donald Trump, schlecht abgebildet ist.  

Linke und rechte, liberale und antiliberale Ideen verbinden sich in dieser Strömung miteinander – die vor allem in Deutschland beliebten Kategorien ‚links / rechts‘ bieten keinen analytischen Mehrwert mehr: Man frönt Kulturpessimismus und Ästhetik als Rückzugsorten; nutzt Ironie und Provokation als Mittel der Mobilisierung einer orientierungslosen jungen Generation – und politischen Extremismus als Ventil für Unzufriedenheit. Man argumentiert mit Patrick Deneen gegen den Neoliberalismus und mit Camille Paglia gegen den Feminismus, mit Curtis Yarvin für Skepsis gegenüber der Demokratie, mit Michel Houllebecque zum Niedergang der westlichen Kultur, liest querbeet: libertäre, reaktionäre, stalinistische, trotzkistische, leninistische Texte. Bei der Lektüreauswahl ist vor allem anderen  wichtig, dass sie dem – tatsächlichen oder bloß behaupteten – Mainstream widerspricht, seine als beengend empfundenen Framings durchbricht, dem Denken eine neue Freiheit suggeriert.  

Pogues Bild vom »verruchten Paten« und Strippenzieher im Hintergrund passt nicht, um Peter Thiels Einfluss auf diese Querfront zu beschreiben. Thiel ist kein Sektenführer, der sich eine junge Gefolgschaft aufgebaut hat, die ihm bedingungslos folgt. Das Milieu entfaltet  Bindungskräfte vielmehr über informelle Gespräche, Parties, Conventions, Textempfehlungen. Die Fans von Peter Thiel sehen sich als unabhängige Intellektuelle, die ihre Gegner in »woken«, »linken« oder »liberalen« Mainstream-Figuren vor allem deswegen sehen, weil diese für Selbstbeschränkung und den Willen zur Beschränkung anderer stehen.  

Die übergeordnete Kategorie ist »Freiheit«, nicht »Rückkehr« – was Joachim Ritter ‚Entzweiung‘ genannt hat, der Konflikt zwischen der Stabilität gebenden Herkunft und dem alles Frühere verwerfenden Fortschritt, ist in der neoreaktionären Bewegung nicht versöhnt, sondern stärker als zuvor: Man sehnt sich nach einer offenen Zukunft, nach der Rückkehr der Geschichte, aber unter den Bedingungen des spätmodernen technologischen Hyperfortschritts. Libertäre Utopien von effizienteren Regierungen nach dem Muster von aktiendotierten Unternehmen verbinden sich mit Aspekten romantischer Freiheitsbewegungen, reaktionär-schnarrende Kulturkritik mit einem durchaus progressiven Verständnis von Selbstverwirklichung.

Eleganter Spurwechsel 

Peter Thiel ist nicht der Guru dieses Milieus. Aber er gilt darin als intellektuelles Genie. Diese Zuschreibung ist nichts Besonderes mehr, seit Akademiker wie Jordan Peterson, Sam Harris, Jonathan Haidt oder Steven Pinker entdeckt haben, dass sie im Internet mit Provokation und Namedropping ein leicht beeinflussbares, vorzugsweise männliches Publikum beeindrucken können. Das Intellectual Dark Web oder The Dark Enlightenment, zu dem auch Thiel gezählt wird, sind, kurz gesagt, PR-Maschen von in ihrer Disziplin eher randständigen Wissenschaftlern, die reaktionäre Ideen aus dem 19. und 20. Jahrhundert aufbrühen und als neue überlegene Rationalität verkaufen.  

Auch Thiel kann Referenzen aus diesem Bereich aufweisen: Sein erster großer Text, The Straussian Moment, ist ein Beitrag zu einer von ihm organisierten Tagung zum französischen Kulturwissenschaftler René Girard. Dort zitiert er die Lieblingsautoren reaktionärer Intellektueller, zu denen auch Girard gehört: Roberto Calasso und Alfred Lord Tennyson, den titelgebenden Leo Strauss, dessen Schüler Pierre Manent, den unvermeidlichen Carl Schmitt, Alexandre Kojève, auch Nietzsche kommt vor. Es geht gegen den Liberalismus, die Aufklärung, gegen Hobbes und Locke, auch die USA selbst als liberalen Entwurf. Inhaltlich erzeugt Thiel ein geschichtsphilosophisches Dilemma, dessen Auflösung er dann am Ende dramatisch offenlässt. Das Narrativ ist altbekannt, auch in der deutschen Version aus der Feder von Botho Strauß und anderen: Der Mensch verbirgt seine wahre, gefährliche, gewaltsame Natur in zivilisatorischen Illusionen. Girard hat dieses Motiv, das sich bei Freud ebenso findet wie bei Nietzsche, kulturphilosophisch gewendet und Thiel setzt es in seinem Text als roten Faden voraus. In den Anschlägen vom 11. September sieht Thiel, auch das ein bekanntes Motiv, das Andere des gewaltsamen Nicht-Westens in den nur scheinbar befriedeten Westen eindringen. Auf die Frage, wie man der Kippfigur von illusorischem Zwang zur Zivilisation und Krieg aller gegen alle entkommt, dürfen dann nacheinander Carl Schmitt, Leo Strauss, René Girard und Pierre Manent antworten. Thiel endet aporetisch – und gleitet in Geraune über den »christlichen Staatsmann« ab, der »weiß, dass die Moderne nicht dauerhaft ist und schließlich etwas ganz anderem weichen wird.«

So weit, so typisch. Thiels Aufsatz könnte auch im Kreis um Ernst Forsthoff oder bei der Ernst-und-Friedrich-Jünger-Gesellschaft vorgetragen worden sein – man merkt ihm den Willen an, etwas intellektuell Anspruchsvolles vorzulegen. Aber das Zitieren von Philosophen macht einen eben nicht selbst zum Philosophen, und so bleibt der Text argumentativ denkbar dünn, gerade dort, wo er Prämissen einschlägt, um sich selbst ein Problem zu verschaffen. Wissenschaftlich ist Thiel über diesen Text hinaus dann auch nicht mehr in Erscheinung getreten. Seine ambitionierte Sichtweise vertritt er stattdessen in Interviews, die kaum mehr sind als Spinning-Plattformen für die interessierte Zuschauerschaft von Cato Institute & Co.  

Folgt man Thiels stockenden Redefluss in verschiedenen Interviews, gerät das Vorurteil vom intellektuellen Genie erheblich ins Wanken. Thiel führt diese Gespräche wie ein Vertreter, der seinem Gegenüber etwas andrehen will. Er strickt am laufenden Band Narrative und reflektiert das auch: er verweist selbst immer wieder auf »riffs«, »frames« und »metaphors«, die er in anderen Gesprächen und immer wieder nutzt. Scheinbar mühelos wechselt er vom fundamental-christlichen Modus in die Perspektive einer libertären Utopie und von dieser in eine reaktionär-rechte Geschichtsphilosophie. Je länger man ihm zuhört, desto deutlicher wird, dass Thiel inhaltlich eigentlich nichts zu sagen hat. Er variiert die immer gleiche Struktur einfach thematisch, passend zum Gesprächspartner.

Tristesse droite 

Die Grunderzählung, die er an den Mann zu bringen versucht, funktioniert in etwa so: Thiel geht davon aus, dass sich die Menschheit bis etwa 1970 linear entwickelt hat, vor allem technologisch. Ab 1970 gerät der Fortschritt ins Stocken, beginnt eine Phase der Verlangsamung, die schließlich in Stillstand und Regression umschlägt. Ursache dafür ist falsche Ideologie, der übergriffige Staat, falsche Prioritäten in den Wissenschaften – vage, reaktionäre Talking Points, mit denen man beliebige Feindbilder verbinden kann. Dann gibt es eine kleine Verfeinerung: Nicht alle Bereiche haben sich dem Fortschritt entzogen – zumindest nicht in jedem Gespräch. Die Tech- und Online-Industrien – also Thiels eigenes Investment-Feld – bilden immer noch, auf die eine oder andere Weise, die Speerspitze des Fortschritts. Wenn jemand es heute oder in der Zukunft zu etwas bringen will, so Thiels Empfehlung, dann ist das vor allem in der Technologie-Branche möglich. Ebenso vage wie die Ursachen der Krise fallen dann auch seine Visionen für eine bessere Zukunft aus.  

Thiel strickt schon seit zwanzig Jahren an Variationen dieser immer gleichen Geschichte: Als Student hat er The Stanford Review mit gegründet, eine konservativ-libertäre Antwort auf emanzipatorische Proteste an der Universität Stanford im Jahr 1987. Die Proteste standen im Kontext der Präsidentschaftskampagne von Jesse Jackson, der seine Rainbow Coalition, die Minderheitenrechte einforderte, nach der berühmten Querfront aus Black Panther Party, American Indian Movement, Brown Berets und anderen sozialrevolutionären Gruppen der 1960er und 70er benannt hatte. Aus konservativ-libertärer Sicht versuchten die ‚Hippies‘ wieder einmal, die geltende Gesellschaftsordnung umzustürzen – in Stanford konfrontierten die protestierenden Studierenden die Universität mit »Vorwürfen des Rassismus und Ethnozentrismus in Einstellungsfragen und im wissenschaftlichen Curriculum«. 4

Ziel der Stanford Review war es, die »Radikalen davon ab[zu]halten, die Aufmerksamkeit der Universitätsverwaltung alleine in Beschlag zu nehmen«. Man kann sich das, übertragen in den deutschen Kontext, am ehesten vorstellen wie eine interventionistische Zeitschrift des RCDS, die gegen ‚linksgrüne‘ Umtriebe unter dem dünnen Vorwand der Meinungspluralität polemisiert. Schon damals, im Jahr 1987, stand der Vorwurf im Raum, dass anderslautende Meinungen als die der linksradikalen ‚Social Justice Warriors‘ ungehört bleiben würden – einer Zeit also, in der die Autoren der Stanford Review tatsächlich den gesellschaftlich dominanten Geist der Reagan-Ära vertraten. Ihren Lesern präsentierte sich die Zeitschrift als »rationales, theoretisch begründetes, praktisch getestetes Feld von Alternativen zu fehlgeleiteten linken Konzepten von Vielfalt, vertreten von Heuchlern«. 5

Fünf Jahre nach seinem Girard-Text veröffentlicht Thiel bei Cato Unbound, einem Medium des Cato Institute, seinen meistzitierten Text. Er ist mittlerweile von den NeoCon ins Lager der Libertären gewechselt, eine Verbindung, die durch gemeinsame Wurzeln im ›Cold War Liberalism‹ naheliegt. Armin Mohler nennt die Flexibilität reaktionärer Selbstbekenntnisse eine »Marscherleichterung« 6 . Etwas Ähnliches macht auch Thiel, der in The Education of a Libertarian von 2009 sich nun auf den »Glauben meiner Teenager-Jahre« beruft: »authentische Freiheit als Vorbedingung für das höchste Gut«.  

Die schnarrenden Angriffe auf den Liberalismus, der reaktionäre Spott über sein ökonomisches Freiheitsideal sind verschwunden: Thiel will seit seiner Jugend ein glühender Verehrer der Freiheit gewesen sein. Wahrscheinlicher ist, dass der Text ihm ein neues Publikum aufschließen soll. In diesem Zusammenhang steht auch Thiels vielzitiertes Bekenntnis in diesem Text: »Ich glaube nicht länger, dass Freiheit und Demokratie kompatibel sind« 7 : Die einschlägige libertäre Literatur von Ayn Rand über Murray Rothbard bis Hans Hermann Hoppe erbt vom Neoliberalismus die immense Demokratieskepsis und den Flirt mit autoritären Staatsformen. Seine Campus-Fehde mit den linken Aktivisten stilisiert Thiel entsprechend zum vergeblichen Kampf im Schützengraben an der Westfront des Ersten Weltkriegs: »Es gab viel Gemetzel, aber wir haben die Mitte der Debatte nicht bewegt. Rückblickend rannten wir nur bereits offene Türen ein.« 8   

Nachdem er die Niederlage des eigenen Lagers ausgeschmückt hat, schwenkt er um zum Hoffnungsschimmer: »Ich verzweifle nicht, denn ich glaube nicht länger, dass Politik alle möglichen Zukünfte unserer Welt enthält. In unserer Zeit besteht die große Aufgabe der Libertären darin, einen Ausweg aus der Politik in all ihren Formen zu finden«, sei sie nun totalitär oder Ausdruck eines »gedankenlosen Demos, der die sogenannte ‚soziale Demokratie‘ anführt“. Der scheinbare Eskapismus des Textes wird am Ende knallhart programmatisch, als Thiel seinen Lesern rät, in das Internet und die Raumfahrt zu investieren: »Die Hoffnung des Internets ist, dass diese neuen Welten die existierende soziale und politische Ordnung beeinflussen und ihr den Wandel aufzwingen werden.« Auch hierfür hat Thiel die passende, wie er sagt, Metapher: »Wir sind in einem tödlichen Rennen zwischen Politik und Technologie … Das Schicksal unserer Welt könnte von jener Person abhängen, die eine Maschinerie der Freiheit baut oder propagiert, die die Welt sicher für den Kapitalismus macht.« 9

Das Ganze in den Blick bekommen 

Thiel bleibt seinem Narrativ treu, auch wenn er es immer wieder neu verpackt. Vor allem aber profitiert er davon, dass seine Zuschauer nicht genau hinsehen. Typisch für die Verwechslung von Geschichte mit Geschichtsphilosophie trifft er schon in The Straussian Moment einige haarsträubende Aussagen, etwa über den Fragenkatalog der Aufklärung, die bei ihm nur als plattes Zerrbild erscheint. Auch in einem Gespräch von 2019 zu diesem Girard-Text liegt Thiel öfter mal daneben:  

Anlässlich der Leseliste von Thiels Stanford-Seminar, auf der sich die Regensburger Rede von Papst Benedikt dem XIV. aus dem Jahr 2006 findet, versucht Peter Robinson von der Hoover Institution Thiel aus der Reserve zu locken: Ist der Glaube intrinsisch rational, wie Benedikt behauptet und darin also der Aufklärung Recht gibt? Thiel windet sich – und lenkt dann auf ein Detail der Rede ab, in der Benedikt sich für sein Argument auf den byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos beruft: »Der Verdacht, den man hat, ist: vielleicht hätte der byzantinische Kaiser … nicht wohlbegründete Argumente formulieren, sondern auch sich Waffen beschaffen sollen, um sich selbst vor … der Katastrophe zu schützen, die sich für Byzanz anbahnte … Benedikt ist genau wie der byzantinische Kaiser aus dem 14. Jahrhundert«. Dass ausgerechnet Manuel II. 1392 den Bruch mit den Osmanen vollzieht, so die Belagerung Konstantinopels provoziert, die Stadt befestigt und in ganz Europa – vergeblich – um Waffenhilfe bittet, ist dem scheinbaren Alleswisser an dieser Stelle entfallen.  

Anders gesagt: Vieles von dem, was Thiel in seinen Interviews ausbreitet, ist die Simulation von Gelehrsamkeit. Thiels Anspruch, der Intellektuelle der Tech-Bros zu sein, lebt nicht von der tatsächlichen Erfüllung dieses Anspruchs, sondern von ihrer Vorspiegelung. Wichtig ist nicht, was Manuel II. oder Benedikt XIV. oder Locke oder Hobbes tatsächlich gesagt haben. Das Namedropping und die Theorie-Jonglage entsprechen eher der Vermarktungslogik des Cold Calling: Man wird inhaltlich nach und nach durch eine plausibel klingende Erzählung eingewickelt, die in Variationen, aus verschiedenen Richtungen kommt. Thiel passt sich seinem Gegenüber inhaltlich an.  

In manchen Gesprächen ist der instrumentelle Charakter dieser Erzählung geradezu aufdringlich, so in Thiels Gespräch mit Tyler Cowen vom Mercator Center der Koch-Brüder aus dem Jahr 2024: »Ich denke«, sagt Thiel, »in der späten Moderne leben wir oft in dieser Welt der Hochspezialisierung, wo man nicht mehr über das große Ganze nachdenken kann.« Den gleichen Punkt macht Thiel in seinem Gespräch mit Jordan Peterson in dessen Podcast im März 2025: »Wir sind so überspezialisiert, es ist extrem schwer ein Bild des Ganzen zu haben«. Im Gespräch von 2024 erklärt diese Figur Thiels Antwort auf die Frage, was Politische Theologie ist: »Wir müssen versuchen all die verschiedenen Facetten unseres Lebens zu integrieren, um Fortschritt zu erreichen … das ist, was Politische Theologie tut.« Im Gespräch von 2025 mit Jordan Peterson suggeriert Thiel eine »politische Intuition« einen Weg zum Bild des Ganzen, nämlich »dass wenn man Ideen hat, die tabu sind, … dann ist meine Abkürzung, zu vermuten, dass sie … einfach wahr sind.« Auf der Höhe der Weltgeschichte ist, wer ein Tabu ausspricht – wie Peter Thiel und Jordan Peterson.  

Minimaler Aufwand, maximale Wirkung 

Die Rhetorik von Peter Thiel ist leicht zu durchschauen, wenn man weiß, wo man hinsehen muss. Sie besteht aus Bausteinen, die sich immer neu anordnen lassen. Sie performt immer wieder, in unterschiedlichen Variationen, jene Szene aus Wolf of Wallstreet, die den Film auch beschließt: »Sell me this pen«. Jordan Belforts Charakter Brad Bodnick bringt es mit zwei Worten auf den Punkt: »supply and demand«. Thiel schafft eine Nachfrage nach dem Bild des großen Ganzen. Er verbindet alle möglichen Krisenerzählungen miteinander und erschafft eine Meta-Erzählung, die er endlos variieren kann und die entsprechend endlos anschlussfähig ist. Dann formuliert er sein Angebot: Politische Theologie für die Konservativen, Investments nach seinen eigenen Interessen für die Fanboy-Anleger, Beschleunigung des Fortschritts für die Liberalen und Libertären, Systemsprengung für Hazardeure aller politischen Richtungen.  

Der passionierte Schachspieler und vorausschauende Investor Thiel weiß, dass man sich dabei nicht in Details verlieren darf – weil die Details nicht wirklich zählen. Was zählt, ist die Botschaft, mittels der sich die verschiedenen Lager mit ihm verbinden. Thiel geht mit seiner Rhetorik so um wie mit seinen Investments und politischen Spielfiguren: Diversifikation. Er ist kein »Pate«, sondern ein Übersetzer und Netzwerker, der routiniert die ihm zur Verfügung stehenden Kanäle nutzt, um altbekannte Narrative und Spins zu etablieren. Seine Weltanschauung ist kein geschlossenes Weltbild, keine einfach zu qualifizierende Ideologie, derer man sich in kategorischen Urteilen entledigen kann. Sie ist wahrscheinlich nicht einmal eine Weltanschauung, sondern nur das, was andere, deren Unterstützung er sich versichern will, hören wollen. 

Neue Rechte 4.0

Im Jahr 2017 fürchtete man sich  in Deutschland ganz erheblich vor den Neuen Rechten, vor ihren den Linken abgeschauten Aktionen und ihren kommunikativen Guerilla-Taktiken. Diese Neuen Rechten wollten, so versicherte man überall, das Overton-Fenster des politisch Korrekten verschieben.  Die Anwesenheit der Neuen Rechten auf der Frankfurter Buchmesse im gleichen Jahr war vielen ein Fanal dieser befürchteten rechten Diskursverschiebung. Die große Diskursverschiebung nach rechts haben dann aber doch nicht die Neuen Rechten, sondern die Konservativen und Liberalen erledigt, die sich die AfD und ihr rechtes bis rechtsextremes Vorfeld nicht nur zum Gegner, sondern auch zum Vorbild genommen haben. 

Peter Thiel vollzieht, bereits seit 1987, genau die gleiche Verschiebung, unter Berufung auf zumindest teilweise die gleichen Autoren. Er tut es  konsistent und weit effizienter als jede Neue Rechte es tun könnte. Die »Alt-Right« ist, ebenso wie die Neue Rechte in Deutschland, ein Sturm im Wasserglas gegen die schiere Diskursmacht, die Thiel und sein Netzwerk mitbringen.  

Literatur

Editorial: Rabble-Rousing: Will We Ever Be Free of the Chaos?, in: The Stanford Review XXX,6 (Mai 2003) https://web.archive.org/web/20150410105948/http://stanfordreview.org/old_archives/Archive/Volume_XXX/Issue_6/Editorial/index.shtml 
Gellman, Barton: Peter Thiel Is Taking A Break From Democracy, The Atlantic, 09. November 2023, https://www.theatlantic.com/politics/archive/2023/11/peter-thiel-2024-election-politics-investing-life-views/675946
Luscombe, Belinda: Who’s Afraid Of Peter Thiel? A New Biography Suggests We Should All Be, TIME, 21. September 2021, https://time.com/6092844/peter-thiel-power-biography-the-contrarian
Mohler, Armin: Die nominalistische Wende. Ein Credo, in: Krebs, P. (Hg.): Das unvergängliche Erbe. Alternativen zum Prinzip der Gleichheit, Tübingen 1981, S. 53-74
Pogue, James: Inside The New Right, Where Peter Thiel Is Placing His Biggest Bets, 20. April 2022, https://www.vanityfair.com/news/2022/04/inside-the-new-right-where-peter-thiel-is-placing-his-biggest-bets
Thiel, Peter: The Education of a Libertarian, in: Cato Unbound (2009) – https://www.cato-unbound.org/2009/04/13/peter-thiel/education-libertarian/

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